Im Lauf der Jahrhunderte hat sich die Schafhaltung stets gewandelt. Schäfer stehen vor immer neuen Herausforderungen, auch in der heutigen Zeit. Anette Wohlfarth, Geschäftsführerin des Landesschafzuchtverbandes, kennt die Tradition und die Moderne und hat uns zu beidem in einem Interview ein paar Fragen beantwortet.

 

Wie weit geht die Tradition der Schafhaltung bereits zurück?

Die Wanderschäferei entstand im 14. Jahrhundert in Süddeutschland. Dabei ziehen Schafherden, geführt von ihren Schäfern, im jahreszeitlichen und standörtlichen Wechsel zwischen Sommer-, Herbst- und Winterweiden dem verfügbaren Futterangebot nach. Im Winter werden die Tiere meist kurzzeitig aufgestallt. Dabei sind Distanzen von 50 bis 500 Kilometer zu bewältigen, pro Tag legen die Herden durchschnittlich etwa 10 bis 15 Kilometer zurück – vornehmlich zu Fuß. Nicht nur, um Kosten zu sparen, sondern um sich den klimatischen Bedingungen und dem Vegetationszyklus anzupassen. Die Rechte und Pflichten dazu sind von je her in Reskripten, Landesordnungen und Gesetzen niedergeschrieben. Die Weidegesetze von1873 in Württemberg sowie von 1884 in Baden sind historisch gewachsen, unterlagen verschiedenen Änderungen, sind jedoch bis heute in Kraft.

Was hat die traditionelle Schafhaltung und Schäferei ausgemacht?

Die Wanderschäferei lässt durch die selektive Fressweise der Schafe wertvolle Kulturlandschaften, zum Beispiel Wacholderheiden, Kalkmagerrasen, Feuchtheiden oder beweidete Streuobstbestände entstehen. Die Wacholderheiden in Mitteleuropa gehören zu den artenreichsten Biotopen und sind in Deutschland, insbesondere in Baden-Württemberg mit den großflächigsten Vorkommen, besonders geschützt. Die Wanderschäferei ist ein Biotopvernetzer und Förderer der Artenvielfalt. Denn Schafe transportieren mit Wolle, Klauen und Kot (darin sind bis zu 6.000 Samen pro Tag enthalten) Pflanzen und Insekten auch über große Distanzen. Nur durch die Schäferei können die größtenteils streng geschützten Kulturlandschaften unserer süddeutschen Heimat erhalten werden.

Die süddeutsche Wander- und Hüteschäferei ist in Zeiten einer zunehmend intensivierten und industrialisierten Landwirtschaft eine außergewöhnliche Form der nachhaltigen, extensiven Landnutzung mit reichhaltigen kulturellen Ausdrucksformen, die es zu bewahren gilt.

Was sind heute die größten Herausforderungen?

Die Anzahl der Schäfereibetriebe – besonders der Wanderschäfereien – ist in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen. Auch der Schafbestand ist in den letzten zehn Jahren um ein Drittel gesunken. Obwohl die Schafhaltung wie keine andere Tierhaltungsform unverzichtbar für den Erhalt der Kulturlandschaft und der Artenvielfalt und gleichzeitig ein Garant für die Erzeugung von regionalem Fleisch bei artgerechter Haltung ist, wurde dies in den politischen Verhandlungen um Agrarfördergelder nicht entsprechend honoriert. Die geringe Wirtschaftlichkeit der arbeitskraftintensiven Schafhaltung wurde nicht ausreichend verbessert. Bei den Preissteigerungen der Pachten auf dem umkämpften Bodenmarkt haben Schäfer aufgrund ihrer finanziellen Situation kaum Möglichkeiten, neue Flächen zu bekommen oder bestehende Verträge zu verlängern.

Die seit 1960 immer weiter vorangetriebene Mechanisierung und Intensivierung der Landwirtschaft verkleinerte insbesondere die Herbstfutterfläche. Rigorose Flurbereinigungen der 1960er und 1970er Jahre ließen die absoluten Weideflächen auf den Sommerweiden schrumpfen und die traditionellen Triebwege verschwanden zunehmend. Ebenso wie die Ausdehnung der Milchviehhaltung, einhergehender Maisanbau sowie die Etablierung von Biogasanlagen, die Ausdehnung von Gewerbegebieten und die rasante Zunahme von Straßen.

 

Was bedeutet ein Heimat- und Brauchtumsfest wie der Wildberger Schäferlauf für Schafhalter? 

Schäferfeste vermitteln einem breiten Publikum Wissen und Kultur der Schäferei und Schafhaltung. Auf Schäferfesten erleben Besucher heimische Schafrassen, Schafschur sowie Handwerksarbeiten wie Spinnen, Filzen oder das Schippe-Schmieden und lernen Produkte vom Schaf wie Milch, Käse, Fleisch und Wurst kennen. Diese Veranstaltungen sind zudem wichtig für den Wissenstransfer von Schäfern an Besucher und interessierte Verbraucher. Dem Wissen über Hüten und Führen der Schafe, Haltung und Züchtung der Tiere, Bedeutung von Nutzungsintensität, -frequenz und -zeitpunkt der Weideflächen und der Futterselektion der Schafe wird bis heute in der Berufsausbildung zum Tierwirt-Fachrichtung Schafhaltung eine große Bedeutung beigemessen. Über all das wird bei den Leistungshüten informiert. Aufführungen von Schäfermusik, Schäfergesangsgruppen und Schäfertanzgruppen lassen traditionelle Klänge und Liedweisen lebendig erfahrbar werden.